Über die ‘Songs of War and Peace’

Über die Deutsche Erstaufführung (Münster 25-06-2022) lesen sie hier.

Ersteinspielung durch NPORadio4:

1 – Battaglia  (8:09)

2 – Fantasia super ‘Dunkle Wolke’    (8:05)

3 –  Scherzo: grimmig Tod & heilig Kind  (3:23)

4 – Pastorale: Schnitter Tod  (6:33)

5- Elegia (5:18)

Mit den Songs of War & Peace realisiere ich einen lang gehegten Wunsch : das komponieren für Blockflöte und einer „romantischen“ Besetzung mit Streichern. Das Stück ist eine Retrospektive auf dem Dreizigjährigen Krieg. Dessen verheerenden Folgen waren Anfang des 17. Jahrhunderts in fast ganz Europa spürbar und wirken über das Nationalismus des 19. Jahrhunderts bis in unserer Zeit. Demzufolge wollte ich die Musik der vielgequälte Bürger, Bauer und Soldaten dieser Zeit benutzen – z.B. Merck toch hoe sterck oder Nu drijven wy de Paus heraus aus den Niederlanden, und „Der grimmig Tod“ oder „O Heiland reiss die Himmel auf“ aus Deutschland. Das Streichquartett, das ihre Blütezeit im romantischen und nationalistischen 19. Jahrhunderts hatte, schien mir im musikalischen Rückblick ein perfektes Rahmenwerk für die Blockflöte zu bieten – das Instrument aus der Zeit des o.g. Krieges.

Diese Idee landete bei meinem alten Blockflötenfreund Peter Holtslag auf fruchtbarer Erde (er hatte mich schon 1994 beauftragt, Voci, voci für ihn zu schreiben). So wie ich hegte auch er, als aufführender Musiker, schon länger den Wunsch, sein Instrument am romantischen Streichquartett zu koppeln – eine rare aber stilistisch und klanglich herausfordernde Kombination.

Zwei Seelen, eine Gedanke : am Ende bedeutete das einen Auftrag von Peter an mich, für diese Besetzung ein Stück zu schreiben.

Das Projekt wurde noch konkreter als das Bennewitz Quartett aus Prag mich auf das Böhmische musikalische Erbgut aufmerksam machte – ein Erbgut, das noch immer von Tschechen aller Glaubensrichtungen umarmt wird : Adventlieder in der Volkssprache, viele aus dem frühen 15. Jahrhundert, als Jan Hus aktiv war – der Vater des Tschechischen (damals Böhmischen) Protestantismus. Seine Lieder sind voller Hoffnung auf Erlösung und besseren Zeiten – gelegentlich basiert auf Gregorianisches Material und immer voller typisch Böhmischen musikalischen Wendungen.

Der Dreizigjährigen Krieg hatte seinen Anfang mit der Böhmischen Aufruhr in 1618 und endete für Böhmen schon zwei Jahre später, als 1620 bei der Schlacht beim Weißen Berg die protestantischen Husseniten zerschlagen wurden und Böhmen, bis im 20. Jahrhundert, das Habsburgischen Reich zugeteilt wurde.

Während in ganz Europa den Glaubenskrieg weitergeführt wurde, blieb Böhmen nur die Adventlieder in der Volkssprache als musikalisches Erbgut. Währenddessen galt Deutsch weiter als offizielle Amtssprache.

I. Battaglia

Der erste Teil ist ein „Battaglia“, eine Art musikalische Streit, ein wenig modelliert nach der Battaglia von Biber. Die erste Episode verweißt nach Merck toch hoe Sterck (mit der Harmonie der Folia d’Espagne) und benutzt das Lied Es geht wohl zu der Sommerzeit als Hauptthema :

Es geht wohl zu der Sommerzeit, der Winter fährt dahin. Manch kühner Held zu Felde leit, wie ich berichtet bin. Zu Fuß und auch zu Pferd, wie man ihr nur begehrt, ganz munter besunder die beste Reiterei, ein ganze werte Ritterschaft, Fußvolk ist auch dabei.

Im zweiten Teil erscheinen die Melodien der Böhmischen Advent-Liturgie (relatiert am Gregorianischen Rorate Coeli) und die des Hussischen Streitlieds Jullie die God’s Strijders zijn).

II Fantasie über ‘Dunkle Wolke’

Als Ritornell (oder Refrain) erklingt ein Lied, basiert auf Schütz‘ O hilf, Christe Gottes Sohn, durch dein bitter Leiden – zwischendurch hört man Variationen auf die Melodie Dunkle Wolken, die als Baß, in den Mittelstimmen oder kanonisch erscheinen :

Es geht ein’ dunkle Wolk’ herein, mich dünkt, es wird ein Regen sein, ein Regen aus den Wolken wohl in das grüne Gras.

Auch erklingen Melodien der Böhmischen Adventritualen.

III. Scherzo – Grimmig Tod & Heilig Kind

Als Muster ein Favorit von Peter Holtslag : Mendelssohns Violinkonzert Op.64. Zwei Themen; das erste, basiert auf das bekannte Tschechisches Lied Narodil se Kristus Pan :

Narodil se Kristus Pán,
veselme se,
z růže kvítek vykvet nám,
radujme se,
z života čistého,
z rodu královského,
nám, nám, narodil se.

Geboren ist Christus, der Herr,
freuen wir uns!
Aus einer Rose erblüht uns eine Blüte,
jubeln wir!
Aus reinem Leib,
aus königlichem Geschlecht,
uns, uns ist er geboren.

das andere (für das mehr und mehr überherrschende Ritornell) das Deutsche Lied Der grimmig Tod :

Der grimmig Tod mit seinen Pfeil tut nach dem Leben zielen. Sein Bogen schießt er ab mit Eil und läßt mit sich nicht spielen. Das Leben schwindt wie Rauch im Wind, kein Fleisch mag ihm entrinnen, kein Gut noch Schatz find bei ihm Platz: du mußt mit ihm vin hinnen!

IV. Pastorale: Schnitter Tod

Vielleicht das meist polemische Stück : einerseits eine wunderbare ominöse Melodie aus Des Knaben Wunderhorns : „Es ist ein Schnitter der heißt Tod“ :

Es ist ein Schnitter, der heist Tod, hat G’walt vom großen Gott; heut wetzt er das Messer, es geht schon viel besser, balt wird er dreinschneiden, wir müssen’s nur leiden. Hüt’ dich, schön’s Blümelein!

Die Melodie erscheint in vielerlei Variationen und Kombinationen während der romantischen Ton mehr und mehr warnt.

Andererseits bricht die kleine aber sehr laute Sopranblockflöte immer wieder mit dem Lied So treiben wir den Winter aus (zuerst erschienen in Andreas Kellners Psalme, geistlike Lieder und Gesenge, Stettin 1576) ein. Das Lied war mir in der niederländischen Version, in einer Übersetzung von Luthers antipapischer Version aus 1545,  bekannt :

Nu dryven wy den Paus heraus / Wt Christus kerck en Godes huys / Daer in hy moordelick heeft gheregeert / en ontallick veel sielen vervoert.

V. Elegia

Hier überherrscht die Melancholie des Rückblicks, gesteuert vom 19. Jahrhundert-Gefühlen, in einem Ostinat Akkord, ähnlich wie in Dvoráks Dumka in seinem letzten Streichquartetts.

Wie im aufgewüllten Staub der Zeiten erscheinen Fetzen vom verzweifelten O Heiland, reisst die Himmel auf…:  herab, herab vom Himmel lauf. / Reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloß und Riegel für…. – ab und zu nur als Akkord (nach Brahms im 19. Jahrhundert) wie eine Art verzweifeltes Choral. In ihren Tönen, in einer Version die wir „moll“ nennen, begegnet die späte Verzweiflung die frühere Hussische Hoffnung im Refrain des Streitlieds aus Teil 1, und zusätzlich die noch ältere Gregorianische Melodie, die leise erklingt als die Tenorblockflöte das Rorate Coeli singt.